Gewerbegebiet Braunschweig-Salzgitter: Parteien wollen keine Bürgerabstimmung

(Quelle Salzgitter-Zeitung vom 03.03.2018)

Die Machbarkeitsstudie für das interkommunale Mammutprojekt soll in Kürze vorgestellt werden.

Braunschweig/Salzgitter. Knapp zwei Jahre ist es her, dass die Oberbürgermeister der Städte Braunschweig und Salzgitter das Projekt medienwirksam ankündigten: Man plane ein gemeinsames Industrie- und Gewerbegebiet auf der Stadtgrenze, gelegen zwischen Thiede, Beddingen und Stiddien. Rund um die Uhr produzierende Betriebe auf einem 3.000.000 Quadratmeter großen Areal, bestens angebunden an Straße, Schiene und Stichkanal. Sollte es so kommen, wäre es das größte Gewerbegebiet der Region.

In den angrenzenden Ortschaften herrscht seitdem Alarmstimmung, die Menschen fürchten um die dortige Lebensqualität. Die Politik beider Städte hat einer Machbarkeitsstudie zugestimmt. Gutachter haben untersucht, welche Folgen die Ansiedlung von 24-Stunden-Betrieben etwa für Verkehrs- und Lärmbelastung, Arten-, Wasser- und Bodenschutz hat. Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet und sollen noch im März der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Warum gibt es zu diesem Projekt eigentlich keine Bürgerabstimmung? Das will ein Leser wissen - und unsere Zeitung hat bei Politik und Verwaltung sowie den Bürgerinitiativen (BI) nachgefragt. Die Ratsparteien reagieren sehr unterschiedlich auf Möglichkeit und Notwendigkeit einer Befragung der Bürger. Einig sind sich aber alle: Zum jetzigen Zeitpunkt mache eine Befragung der Bürger keinen Sinn - erst müssten die Ergebnisse der Studie abgewartet werden.

Das sagt die SPD

Die SPD, die in Salzgitter mit MBS und Grünen ein Mehrheitsbündnis führt, erklärt, sie habe schon im Juli 2015 bei der Stadtverwaltung die grundsätzliche Einrichtung einer Arbeitsgruppe Bürgerbeteiligung beantragt. Doch geschehen sei bis heute nichts. Die SPD stehe mit der örtlichen Bürgerinitiative und den protestierenden Landwirten in Kontakt. Zunächst aber sei die Machbarkeitsstudie abzuwarten: "Denn sowohl ein Ja als auch ein Nein zum Gewerbegebiet muss sachlich begründet werden", sagt Fraktions-Geschäftsführer Michael Loos.

Christoph Bratmann, SPD-Fraktionschef und Landtagsabgeordneter aus Braunschweig, sagt: "Eine Beteiligung wird es in Form von Dialogveranstaltungen vor Ort geben", und das sei auch richtig. Eine Bürgerbefragung aber sieht er skeptisch: "In Stadtteilen, die von den Plänen nicht direkt betroffen sind, ist das Interesse eher gering - und die Interessenslage vermutlich auch eine ganz andere als direkt vor Ort." Aus wirtschaftspolitischer Sicht sei es mit Blick auf die Gewerbesteuereinnahmen schließlich wichtig, weitere Gewerbeflächen zu erschließen.

So argumentiert die CDU

Ähnlich reagiert die CDU. Salzgitters Fraktions-Vorsitzender Rolf Stratmann hält das Thema für ein Bürgerbegehren für ungeeignet, da es um eine Entscheidung von gesamtstädtischer Bedeutung gehe. Hier trage der von den Bürgern gewählte Rat der Stadt die Verantwortung. Bürgerbegehren zu Fragen der Bauleitplanung seien ohnehin nicht zulässig, sagt der Jurist.

Der Braunschweiger CDU-Fraktionschef Klaus Wendroth argumentiert anders: Eine Bürgerabstimmung hält er für "nicht angemessen", weil es sich nicht um ein Thema handele, das die ganze Stadt betreffe - anders als 2011 die Bürgerbefragung über den Ausbau des Eintracht-Stadions in Braunschweig: "Ich denke, die Beteiligung an einer Befragung zum Gewerbegebiet wäre extrem gering." Dennoch müsse man die Bedenken vor Ort ernst nehmen.

Das wollen die Grünen

Die Einbindung der Bürger in Planungen und Entscheidungen werde die Fraktion der Grünen unterstützen, sagt in Salzgitter der Vorsitzende Marcel Bürger. Zur Unterstützung würden demnächst die Landtagsabgeordneten Miriam Staudte und Imke Byl erwartet. "In Abstimmung mit den Grünen in Salzgitter werden wir uns zu dem Thema positionieren, sobald die Ergebnisse der Studie vorliegen", sagt Rainer Mühlnickel, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen in Braunschweig. Er betont: "Die Sorgen der Bürger müssen ernst genommen werden."

So geht die Linke vor

Salzgitters Fraktionschef Hermann Fleischer sagt, wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Gewerbegebiets sollte es eine Bürgerbefragung geben, aber erst nach ausführlichen Informationen. Der Politiker erwartet vor allem Antworten auf Fragen nach den Auswirkungen auf Verkehr und Lärmschutz sowie nach einem Verbot von Atommüll-Ansiedlungen.

Udo Sommerfeld, Fraktionschef der Linken in Braunschweig, ist skeptisch: "Grundsätzlich kann man zu allem eine Bürgerbefragung machen, soweit es sich um ein Thema von stadtweiter Bedeutung handelt und soweit man eine Frage stellen kann, die mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten ist. In diesem Fall aber bezweifele ich beides." Die Machbarkeitsstudie werde mehrere hundert Seiten betragen: Das Thema sei zu komplex, um eine mit einem schlichten Ja oder Nein beantwortbare Frage finden: "Es geht ja zum Beispiel auch um bestimmt Ansiedlungen, die vor Ort nicht gewollt sind."

Das fordert die MBS

Für Salzgitters MBS sagte Fraktionschef Stefan Roßmann, eine Bürgerabstimmung sei gesetzlich nicht vorgesehen. Der Rat könne dies veranlassen, doch das Ergebnis sei für die Politiker nicht bindend. Dennoch werde die Fraktion, die mit der BI auf Salzgitter-Gebiet in Kontakt steht, ihre Entscheidung "sorgfältig überdenken zum Gemeinwohl unserer Bürger".

Das sagen die Gegner

Der Sprecher der Üfinger BI, Eberhard Hentschel, will ebenfalls erst die Machbarkeitsstudie abwarten, bevor er zur Frage nach einer Bürgerabstimmung Stellung bezieht. Die Möglichkeit werde die BI aber juristisch prüfen lassen. Zugleich betont Hentschel: "Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, um dieses Vorhaben der beiden Oberbürgermeister zu verhindern."

Edgar Vögel, Sprecher der Bürgerinitiative "BI-Südwest-BS" findet: "Eine Bürgerabstimmung hätte den Charme, dass die Betroffenen tatsächlich gehört würden." Und betroffen seien nicht nur die Anwohner der angrenzenden Ortschaften: "Alle Braunschweiger sollten sich betroffen fühlen, weil große Teile der frischen Luft in der Stadtmitte genau aus dieser Windrichtung kommen." Die BI will bei einer öffentlichen Info-Veranstaltung am 15. März beraten, wie sie weiter vorgehen will, um das Gewerbegebiet zu verhindern: 19 Uhr im Schützenheim des KKSV Timmerlah.

Peter Rosenbaum von der BIBS, die sich als Mutter aller Bürgerinitiativen in Braunschweig sieht, sagt zur Bürgerabstimmung: "Die Idee ist interessant. Wir werden das prüfen." Er weist aber darauf hin, dass die rechtlichen Hürden und die Kosten hoch seien - und verweist auf abgeschmetterte Bürgerbegehren zum Schloss und zum Spaßbad.

Vom Landvolk war keine Stellungnahme zu erhalten.

Das erklären beide Städte

Die Städte Braunschweig und Salzgitter reagierten zurückhaltend. Derzeit gebe es noch keinen Vorschlag der beiden Verwaltungen, über den abgestimmt werden könnte, ließen Sprecher der Kommunen verlauten. Zum weiteren Vorgehen würden sich die Oberbürgermeister noch im Frühjahr äußern, wenn beide die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie öffentlich vorstellen. In welcher Form dies geschehe, werde noch bekanntgegeben.

"Die Beteiligung an einer Befragung zum Gewerbegebiet wäre extrem gering."